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Das offene Buch

Ich hab echt Glück gehabt mit meiner Handhabung der Krankheit gegenüber anderen Personen. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, bin ich von Anfang an sehr offen gewesen, was meine “Einschränkung” angeht. Beim ersten Mal Angst vor der Angst hab ich schon eine wildfremde Person im Zug zugequatscht, dass ich die Fahrt heute schon mal versucht hatte und das da abbrechen musste und ich mich jetzt irgendwie ängstlich fühle. Das diente mir damals der Ablenkung, aber heutzutage ist das halb Reflex und halb System.

Weil ich jetzt schon fast eine Woche durchhalte, werd ich das hier wohl auf meinen sozialen Kanälen posten, was bedeutet, dass ich es auch Freunden/Bekannten zugänglich mache.* Die Entscheidung fühlt sich stressig an. Ich habe persönlich das Gefühl, dass Ambition Angriffsfläche bietet. Was ich hier mache dient keinem Ziel, bringt nichts, ist weder effektiv noch produktiv. Das weiß ich, aber für mich ist das nicht so wichtig. Aber sobald ich das anderen präsentiere, krieg ich das Gefühl, es wäre wichtig. Ich habe das Gefühl, ich werde daran gemessen, was ich Sinnvolles mache. Es hilft auch nicht gerade, dass Menschen, die mich kennen, wissen, wie oft ich Feuer und Flamme für eine Idee bin und das nach 3 Wochen schon wieder versandet ist. Scanner-Persönlichkeit vielleicht. Mittlerweile rechne ich schon mit ein, dass meine Begeisterung nicht lange anhält. Naja, das macht es verständlicherweise Bekannten noch schwerer, da eine Ernsthaftigkeit zu sehen. Kein Problem, ich weiß es ja selber nicht.

Nachdem ich das alles gesagt habe: Ich fühl mich überhaupt nicht unsicher, was den Inhalt angeht. Alle meine Freunde wissen von den Besonderheiten. Und die meisten, die mich gröber kennen, haben davon auch schon gehört — wenn man auf dem Land wohnt eh doppelt.

Ich weiß, dass viele, vielleicht die Mehrheit von Menschen, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind oder waren, nicht darüber sprechen. Zum einen ist das natürlich eine sehr persönliche Angelegenheit, wie körperliche Krankheiten ja auch. Bei Krankheiten generell, eigentlich universal bei Problemen, ist es nicht so angesehen, darüber zu sprechen. Kein Wunder, man läuft da schnell Gefahr, vom Beschreiben ins Jammern zu verfallen. Und das zieht dann den Gesprächspartner mit runter, da hab ich auch lieber jemanden, der:die eine lustige Story erzählt.

Man hat ganz simpel auch Nachteile, zum Beispiel im finanziell (Beruf, Versicherungen). Das kann in kleinen Städten oder Branchen dann schon ausschlaggebend sein. Nachvollziehbar, dass man das für sich behält. Sozial gesehen gibt es viele Leute, die dann mehr ÜBER als MIT Betroffenen reden. Aber gerade Letzteres finde ich total überschätzt. Ich meine, ich weiß ja nicht, ob und wie viel Leute über mich reden. Und ich bin mir sicher, dass solche, die mich nur grob kennen auch sicher mehr Falsches als Richtiges über meinen Zustand reden — alleine, dass ich hier schreibe, dass überhaupt jemand drüber redet, kommt mir wahnsinnig arrogant vor. Aber ich habe es noch nicht erlebt, dass jemand im direkten Gespräch mit mir richtig scheiße reagiert hätte. Die mehrheitlichen Reaktionen teilen sich in zwei Richtungen:

1. Leute, die das total interessant finden und auch interessierte, gute Nachfragen stellen.

2. Leute, die das schon von sich selber/Verwandten/Bekannten kennen, zwar nicht genauso, aber das Konzept ist dann nicht neu.

Manchmal droht so ein Gespräch ins Negative zu rutschen, ins Mitgefühlige. Das mag ich nicht, weil ich ja gar nicht unglücklich bin. Ich lebe nur einfach anders, aber das tun ja viele und das bedeutet nicht, dass ein Lebensentwurf automatisch glücklicher macht als der andere.

Wenn ich z.B. jemand Neues irgendwo kennen lerne (oder mit jemandem spreche, der:die mich nur oberflächlich kennt) und das Thema kommt z.B. auf Urlaubsziele, dann sag ich offen, dass ich nicht reise, anstatt zu versuchen, das zu umschiffen. Wenn dann der Grund dafür Gegenstand des Gesprächs wird, ok, aber ich forciere jetzt nicht, dass ich dann nur drüber reden will, was ich alles nicht kann. Wie es sich halt entwickelt. Beim Online-Dating mach ich es etwas anders, aber dazu mach ich demnächst mal einen eigenen Beitrag.

Ich hab das nicht bewusst so entschieden. Ich glaube, mein Charakter ist einfach so, dass ich relativ offen mit Menschen quatschen kann. Vermutlich, weil ich so herrlich vertrauensselig bin und immer erst mal denke, Menschen wollen mir nur das Beste. Übrigens damit sehr selten auf die Fresse gefallen, sehr empfehlenswert. Also die Anlagen dafür sind da. Und dann habe ich halt so positive Erfahrungen gemacht, wie beschrieben. Die sind so super. Ob die dann wann anders drüber Lachen oder drüber reden, wie sehr ich mich anstelle? Ich glaube nicht und wenn, dann weiß ich es ja nicht sondern denk weiterhin, das sind freundliche, offene Menschen. Und ich mag es, so über die Leute zu denken.

Und noch ein anderer Effekt: Es nimmt mir wahnsinnig den Druck. Beispiel Dorfschützenfest. Wenn ich den Leuten einfach sagen kann “Du, könnte ich vielleicht am Rand sitzen, da fühl ich mich besser, falls ich mal schnell raus muss” ist das natürlich auch einfach viel entspanner. Ich muss mich nicht zusammenreißen, weil ich mir nichts anmerken lassen darf, sondern ich kann mir mein Sicherheitsnetz so aufspannen, wie ich es brauche.

Falls also wirklich jemand liest, der:die mich kennt und bis hierhin gekommen ist und wir schon mal in irgendeiner Weise panikmäßig interagiert haben:

Danke für deine gute Reaktion.

*Falls wir uns kennen: Ja, ich mach das jetzt. Don’t judge me.

Tiffi

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